Interwiew mit Tino Schuppan

Tino Schuppan ist mit Mitglied des Fachbeirates des KommunalCampus. Er ist Professor für Public Management an der HdBA (Hochschule der Bundesagentur für Arbeit) und wissenschaftlicher Direktor des Stein Hardenberg Instituts (SHI). Seine wissenschaftlichen Arbeiten konzentrieren sich auf die Digitalisierung von Staat & Verwaltung sowie auf ausgewählte Public-Management-Themen.

Tobias Wojtanowski: Herr Schuppan, Sie sind im Fachbeirat des KommunalCampus, der die Entwicklung des KommunalCampus besonders inhaltlich begleitet. Wie sehen Sie die inhaltliche Entwicklung des Campus im aktuellen Jahr 2024?

Tino Schuppan: Wichtig ist, dass der KommualCampus fachliche und Methodenkenntnisse so aufbereitet und vermittelt, dass sie anschlussfähig und umsetzbar für die Verwaltungspraxis sind. Dafür braucht es auf der Angebotsseite Personen und Institutionen, die beide Aspekte verbinden können - das verwaltungspraktische Handeln verstehen und die Grundlagen eines Fachgebietes. Ebenso wichtig ist die Fähigkeit, die Inhalte so didaktisch aufzuarbeiten, dass sie sich leicht in den Arbeitsalltag der Verwaltung integrieren lassen. Denn Lernen muss stärker zu Gelegenheitslernen werden, auch stärker bezogen auf verwaltungspraktisch relevante wiederkehrende Arbeitsepisoden, d.h. in den Arbeitsprozess integriert erfolgen. Klassische Vorlesungen nach universitärer Art sind nicht immer hilfreich, wenngleich es diese auch braucht, aber in einem anderem Lernkontext bzw. in einem anderen Ausmaß, z.B. im Rahmen von Fortbildungen oder beim berufsbegleitenden Erwerb von Abschlüssen. Für 2024 wollen wir diese Aspekte noch stärker in den Vordergrund stellen, d.h. die Inhalte noch bedarfsorientierter gestalten.
Dazu haben wir am SHI | Stein-Hardenberg Institut unsere ersten beiden On-Demand Kurse auf dem KommunalCampus zu grundlegenden Dauerbrennern der Verwaltungsdigitalisierung erstellt:  „Prozessmanagement für Kommunen - einfach und (be)greifbar“ und „Wissenssicherung in digitalen Strukturen – Basiswissen für Kommunen“. Im Laufe des Jahres veröffentlichen wir dann einen weiteren Kurs zu den Themen Datenschutz und Datensicherheit, die auch die kommunale Welt immer stärker betreffen. Diese (Compliance-)Anforderungen sind gerade von den Kommunalverwaltungen in der Praxis schwer umzusetzen, zumal schon jetzt viele Verwaltungen kaum den „normalen“ Vollzug schaffen – aufgrund von Personalmangel und zunehmendem Aufgabenumfangs. Gerade bei solchen „Spezialthemen“ stellt dann eben die Frage, wer das alles verstehen und umsetzen soll, auch in Anbetracht, dass Experten schwer zu finden sind. Das sind beides Themen mit hohem Querschnittscharakter, d.h. man kommt mit dem traditionellen Beauftragten(un-)wesen nicht weiter, weil die Themen umfassender in die Verwaltungsbelegschaft einsickern müssen, wenn es nachhaltige Veränderungen geben soll und damit letztlich ausrechend Schutz für die Verwaltung.
Zentrale Herausforderung für den Kommunalcampus bei solchen Themen ist es, keine langweilige kommunale Lehranstalt mit juristisch dominierender Prägung, sondern schnell und unaufgeregt auf neue Inhalte reagieren und v.a. auch Inhalte aktuell halten. Damit das alles gelingt, braucht es aber auch eine entsprechende Lernkultur in den jeweiligen Verwaltungen. Manchmal hat man den Eindruck, dass MitarbeiterInnen, die sich fortbilden, immer noch als „Drückeberger“ vor der Arbeit gesehen werden.


Tobias Wojtanowski: Sie bewegen sich als Professor für Public Management sowie als wissenschaftlicher Direktor des SHI | Stein Hardenberg Instituts in Berlin sehr nah an den aktuellen Entwicklungen der Verwaltung. Beobachten Sie eine Veränderung in den Ansprüchen an die Verwaltungsmitarbeiter? Verändert sich der Beruf des klassischen Verwaltungsangestellten aktuell, besonders im Hinblick auf erforderliche Kompetenzen?

Tino Schuppan: Wir beobachten schon seit längerem, dass neue Kompetenzen gefragt sind. Das heißt nicht, dass altes Wissen immer obsolet wird oder keine Rolle mehr spielen würde. Gerade spezifische und solide Fach- und Methodenkenntnisse sind mehr denn je gefragt. Wir brauchen die Spezialisten in der Verwaltung. Aber das Spezialistenwissen verändert sich mit digitalen Methoden. Viele Verwaltungsaufgaben sind datenzentriert, egal ob diverse Fachplanungen, die Erbringung von Sozialleistungen oder Baugenehmigungen. Wir sind hier mitten in einer tiefgreifenden Transformation. Gleichzeitig haben wir viele Verwaltungsbereiche, die de facto noch im Gestern verharren, weil die institutionelle Trägheit stärker ist als die Innovation, die vielfach von außen an die Verwaltung herangetragen wird. Feststeht, dass heutige Verwaltungsausbildungen und duale Studiengänge (gehobener Dienst) nicht annähernd auf die Anforderungen einer digitalisierten Verwaltungswelt vorbereiten, was bereits vor ca. 15 Jahren von Verwaltungspraktikern erkannt wurde, es kam jedoch zu keiner Veränderung. Das frustriert auch Verwaltungsmitarbeiter. Nehmen Sie nur die Ausbildungsordnung für Verwaltungsfachangestellte, die aus dem Jahr 1998 stammt. Wie soll Veränderung gehen mit einer Ausbildungsordnung, die über ein Vierteljahrhundert alt ist!? Vielfach sieht es an den Hochschulen nicht anders aus. Es wird bestenfalls Instrumentenwissen in Bezug auf Digitalisierung und Bedienfähigkeit geschult. Das ist notwendig, aber keinesfalls ausreichend. Man braucht neue fachübergreifende Kompetenzen, die Informationstechniken, Personal und Organisation zusammendenken und verstehen. Nur wenn man alle drei Bereiche zusammendenkt und gestaltet, kann das Digitalisierungspotenzial gehoben werden. Das gilt sowohl für die Mitarbeiter, die in den heutigen und zukünftigen digitalisierten Strukturen arbeiten und v.a. für diejenigen, die diese Strukturen planen und umsetzen. Es braucht neue Digitalisierungsarchitekten, die das Thema umfassend verstehen und umsetzen. Hiervon sind unsere klassischen Bildungseinrichtungen leider weit entfernt, Plattformen wie der KommunalCampus schließen hier also aktiv eine Lücke. Kurzum: Mitarbeiter wollen moderne Arbeitsplätze und moderne Kompetenzen. Das sind ganz klare Ansprüche. In Bezug auf das Tätigkeits- und damit Kompetenzprofil von Verwaltungsangestellten sehen wir schon mindestens punktuell starke Veränderung. Neben fachlichen und datenbezogenen Aspekten sehen wir zunehmend Anforderungen, die mit Digitalisierung nur mittelbar zu tun haben, wie zunehmend mit unerwarteten Situationen umzugehen. Das hat Verwaltung nicht gelernt. Lebenssachverhalte sowie Politikfelder und damit auch Verwaltungszweige werden zunehmend komplexer, so dass auch die klassischen Verwaltungskompetenzen, v.a. die vielfach immer noch juristisch dominierende Logik wenig hilfreich ist.


Tobias Wojtanowski: Das Kernthema des KommunalCampus ist Kompetenz und deren Vermittlung. Es gibt Stimmen, die behaupten, die Digitalisierung sorge für den Wegfall von Kompetenzen bzw. dafür, dass die Technik diese übernehme. Beispielsweise können redundante, digitale Aufgaben bereits von KI übernommen werden können. Wie sehen Sie diesen prognostizierten „side-effect“ der Digitalisierung?

Tino Schuppan: Das ist eine leidige Story. Schon in den 1970iger Jahren kam die Frage auf, ob Informationstechniken zur Auf- oder Abwertung von Kompetenzanforderungen führen. Schon damals hieß die Antwort: „Es kommt darauf an…“ Es gab in den letzten Jahren diverse Studien, die sich nahezu überschlagen haben mit Prognosen, was wegfällt im Zusammenhang mit Digitalisierung. Vieles ist aus meiner Sicht Kaffeesatzleserei und dient der Generierung von Aufmerksamkeit, auf die auch Forscher angewiesen sind. Lassen Sie mich empirisch antworten: Es ergeben sich aus meinen Untersuchungen über digitalisierte Arbeitsorganisationen bisher keine hinreichenden Belege, dass die Einführung von IT in der Summe zu einer substanziellen Arbeitsentlastung in einem Verwaltungsbereich geführt hätte. Dagegen hat sich folgendes gezeigt: Einfache Arbeiten hat die IT übernommen, aber anspruchsvollere neue Arbeiten sind hinzugekommen. Komplizierte Sachverhalte sind häufig bei Menschen geblieben. Ich sage nicht, dass dies so bleiben muss. Aber was ich sehe ist, dass Lebenssachverhalte komplizierter werden (Stichwort: Einkommensanrechnung bei Patchworkfamilien) und die Regulierungstiefe und -breite zunimmt, so dass in der Regel die Digitalisierungsrendite in der Praxis wieder aufgefressen wird. Das ist wie eine vielköpfige Hydra: Sie schlagen einen Kopf ab und es kommen mindestens zwei neue nach. Deshalb brauchen wir Verwaltungsexperten, die Verwaltung mit ihrer Genetik verstehen und das nötige Digitalisierungswissen haben, um die neuen Arbeitssystem zu verstehen und zu gestalten. Außerdem fliegt ja auch die neue IT nicht wie von Wunderhand in die Verwaltung. Es braucht Experten, die so was einführen und gestalten. Das braucht Zeit und Kompetenz. Ich bin eher optimistisch-skeptisch, wenn es darum geht, dass schnell viele Kompetenzen wegfallen. Dennoch werden Kompetenzen wegfallen, jedoch werden immer auch neue menschliche Kompetenzen erforderlich. Zusammengefasst, es kommt zu einer Rekonfiguration von Kompetenzanforderungen, nicht zu einem simplen Wegfall. So erfordern beispielsweise neue digital vernetzte Arbeitsformen auch neue soziale und personale Kompetenzen, an den neuen organisatorischen Schnittstellen. Das lässt sich nicht zwangsläufig automatisieren. Ich glaube nicht, um es überspitzt zu formulieren, dass die Verwaltung in zehn Jahren ein großer Rechner ist, den die Politik mit ihren ausufernden regulativen Wünschen füttert und dann fallen aus der Verwaltungsmaschine Superentscheidungen heraus.


Tobias Wojtanowski: Der KommunalCampus wird in diesem Jahr verstärkt mit dem SHI | Stein-Hardenberg Institut zusammenarbeiten – können Sie bereits einen Ausblick für unsere Leser geben, was uns in dieser Zusammenarbeit erwartet?

Tino Schuppan: Unser Anspruch als SHI ist, Praxis und Wissenschaft/Forschung zu verbinden. Nicht abstraktes „Zeugs“ von sich zu geben, um möglichst schlau zu wirken, sondern Forschungsergebnisse handfest entlang der realen Praxisproblemen zu liefern, so dass diese für die Praxis auch hilfreich sind. Vielfach schwebt ein leider nicht kleiner Teil der Forschung in der selbsterzeugten Thermik und hält sich dann noch für schlau. Wir entwickeln und verbessern im Institut laufend Methoden, um Wissen in die Praxis zu transferieren. Hiervon können Sie besonders profitieren, wie beispielsweise mit unserer Methode PRIMO, die dazu dient, dass man einfach und intuitiv komplexe Datenschutzanforderungen rechtskonform ermitteln und umsetzen kann, auch gleich im Zusammenspiel mit Prozessmanagement, wie mit unserer Modulo-Methode. Hierdurch verfügen wir über sehr konkretes Wissen, dass für die Praxis hilfreich ist, was klassische Uni-Institute im Regelfall nicht haben. Mit anderen Worten: Wir haben auch handfeste Umsetzungsansätze, die wir in unseren Seminarangeboten für Kommunalcampus bereitstellen. Das zwingt uns konkret zu werden, was wiederum der Praxis hilft.


Tobias Wojtanowski: Herr Schuppan, vielen Dank für das Interview!