Interwiew mit Valerie Michaelis
Valerie Michaelis ist stellvertretende Generalsekretärin bei fit4internet. Ihr Bildungshintergrund und beruflicher Weg führte sie nach unterschiedlichen Stationen in der Beratung und Digitalisierungsprojekten zur NGO fit4internet (codename: fit4future). Diese engagiert sich seit 2018 intensiv im Bereich digitaler Kompetenzsteigerung, mit Fokus auf praxisnahe, wirtschafts- und arbeitsmarktrelevante Inhalte. Der von fit4internet entwickelte Ansatz umfasst Standardisieren, Evaluieren, Qualifizieren und Zertifizieren, um lebenslanges Lernen im Kontext der Digitalisierung als Chance für alle zu begreifen. Der KommunalCampus kooperiert seit diesem Jahr mit fit4internet und bietet die Kompetenzmessung auf der Plattform an.
Tobias Wojtanowski: Frau Michaelis, fangen wir doch direkt mit etwas Leichtem an: Warum sind digitale Kompetenzen und deren Messung in der heutigen Zeit wichtig?
Valerie Michaelis: Wir befinden uns in einer zunehmend „digitaleren“ Welt, in der unsere analogen Lebenswelten vermehrt digitale Eigenschaften annehmen und sich laufend transformieren. Dadurch verändert sich die „D.N.A.“ bzw. das Wesen vieler Aktivitäten. Dies gilt gleichermaßen für den Arbeitsmarkt per se und den individuellen beruflichen Kontext, wie auch für unser Privatleben. Stete und rasche Veränderung durch die Einführung neuer Technologien sind ein Merkmal unserer Zeit und weisen den Weg in die Zukunft.
Der Einsatz neuer, moderner Technologien in den unterschiedlichsten Bereichen erfordert einen kompetenten, sicheren und selbstbestimmten Umgang, um nicht im „Blindflug“ diesen Entwicklungen ausgeliefert zu sein. Um Digitalisierung als Instrument zu verstehen, welches den Alltag effizienter gestalten lässt und somit Raum für Kreativität, Innovation und Problemlösungskompetenzen zu schaffen, ist es umso wichtiger, dass wir mit diesen Entwicklungen Schritt halten können. Dabei geht es nicht unbedingt darum, dass wir alle Domain Experts mit fortgeschrittenen digitalen skills werden oder uns als IT-Expert*innen am Arbeitsmarkt positionieren. Viel mehr steht das digitale Allgemeinwissen im Vordergrund, welches uns befähigt mit den unterschiedlichen Technologien am eigenen Bedarf orientiert kompetent, reflektiert und sicher umgehen zu können.
Hierzu dient die Messung von digitalen Kompetenzen als erste Hilfestellung, um verstehen zu können, in welchen Bereichen Aufholbedarf besteht und (Weiter-)Qualifizierungsmaßnahmen sinnvoll eingesetzt werden können. Dies dient einer bedarfsgerechten Weiterbildung und holt dort ab, wo tatsächlich der „Need“ besteht.
Unbestritten bleibt, dass wir die Digitalisierung nicht aufhalten können, aber wir können uns rüsten und mit diesen beeindruckenden Technologien kompetent(er) – im Sinne von #digitallyfit - umgehen. Dies geht einher mit den Anforderungen am Arbeitsmarkt, für den digitale Kompetenzen unerlässlich geworden sind, ist aber auch für die gesellschaftliche Teilhabe ein wichtiger Faktor.
Tobias Wojtanowski: Sie machen mit fit4internet Kompetenzen messbar. Was entgegnen Sie Personen, die Messbarkeit beim Personal als problematisch betrachten? Wird der Mensch nicht auch gläsern gemacht, was seine Fähigkeiten angeht? Können daraus Nachteile entstehen?
Valerie Michaelis: Es gilt das Instrument der Messbarkeit als Chance zu begreifen. Lassen Sie uns Parallelen zum Sport und die körperliche Fitness ziehen – ein effizientes Training, welches meine Kraft und Kondition kontinuierlich steigert, ist auch abhängig vom Status-Quo meiner körperlichen Beschaffenheit. Ich werde nicht aus dem „Stehgreif“ einen Marathon laufen können (und wollen), ohne davor ein entsprechendes Grundlagen- und Ausdauertraining absolviert zu haben. Ein Trainingsplan, der auf meine aktuellen Bedürfnisse und Ziele abgestimmt ist, hilft mir diesen Long Run zu meistern. Ähnlich ist es mit den digitalen Kompetenzen. Erst wenn ich weiß, wo ich stehe, kann ich darauf aufbauen und mein Wissen verbessern. Insbesondere im Kontext der Digitalisierung handelt es sich auch um einen Long Run, denn die technologischen Entwicklungen erfordern ein kontinuierliches Weiterlernen in Sinne des Lifelong Learnings #LLL.
Unsere Evaluierungs-Tools sollen als Chance begriffen werden und daher erfolgen die Messung anonym. Die Instrumente stehen für Einzelpersonen derzeit kostenlos auf Deutsch und Englisch zur Verfügung, um unkompliziert Zugang zu geben. Zudem fördern wir mit direktem Feedback und kurzen Erläuterungen zur Fragestellung den Microlearning-Effekt („learning on the run“). Als Individuum erhält man nach Absolvieren eines der Tools sein individuelles digitales Kompetenzprofil, welches als Download und PDF nur für die Einzelperson zur Verfügung steht. Wir haben keinen Zugriff auf diese Informationen und speichern diese auch nicht im Hintergrund. Personenbezogenen Rückschlüsse sind daher nicht möglich.
Neben diesem niedrigschwelligen Angebot für Individuen haben wir auch für Organisationen oder Unternehmen die so genannte DigComp-Portal-Lösung entwickelt, die anonyme Gruppenevaluierung ermöglicht. Mit dieser Software-as-a-Service-Lösung sind keine personenbezogenen Ergebnisse rückführbar und weder für uns noch für die Organisation ersichtlich. Im Data Cockpit und dazugehörigen Dashboard werden Gruppenergebnisse erst ersichtlich, wenn mindestens 10 Datensätze pro statistischem Einzelmerkmal eingelangt sind.
Mit diesen Lösungen möchten wir einerseits die Angst vor Evaluierung nehmen und zugleich die Chancen und Potenziale einer Standorterhebung anbieten – sei es für die einzelnen Teilnehmenden oder für die Organisation. Nachhaltige Digitalisierungsstrategien, deren Umsetzung und eine erfolgreiche digitale Transformation sind nicht (allein) vom Einsatz unterschiedlicher Technologien abhängig, sondern primär vom Faktor Mensch. Verstehen wir die Mechanismen neuer Technologien? Können wir als Mitarbeitende (neue) Technologien bedienen? Wissen wir diese auch kritisch und reflektiert einzusetzen? Diese und viele weitere Fragestellungen sind hierbei ausschlaggebend.
Es ist absolut menschlich eine gewisse Berührungsangst gegenüber Evaluierungen oder neuen Entwicklungen im Kontext der Digitalisierung zu haben. Daher möchten wir dazu ermutigen, die Digitalisierung und neue Technologien als Tools zu verstehen, die vom Menschen bewusst und kompetent genutzt werden können. Der Fokus auf eine reflektierte Auseinandersetzung mit Tool und Technologien fördern ein aufgeschlossenes Mindset und eine stimulierende Lernkultur. Dafür ist eine gesunde Portion initialer Neugierde und die Bereitschaft für trial and error hilfreich.
Tobias Wojtanowski: Wir beim KommunalCampus arbeiten mit Kommunen und Landkreisen zusammen, also mit öffentlichen Verwaltungen. Ansprüche an Mitarbeiter sind schon über Abteilungen hinweg unterschiedlich – lässt sich Ihr Modell denn auf den öffentlichen Dienst genauso anwenden, wie auf Mitarbeitende in der Wirtschaft?
Valerie Michaelis: Unser Fokus liegt auf dem digitalen Grundlagen- oder Allgemeinwissen, welches wir alle als Arbeitnehmende benötigen, unabhängig vom individuellen Bildungshintergrund, der aktuellen Funktion oder der Branche, in der man tätig ist. Wie bei den Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen, benötigen wir auch für “Digitales” ein grundlegendes Wissen und Verständnis. Digitale Kompetenzen werden in allen Berufsbildern benötigt, zugegeben in unterschiedlichen Ausprägungen. Mit Blick auf die unterschiedlichen Berufsprofile werden zusätzliche, spezifische digitale Kompetenzen notwendig.
Dies gilt beispielsweise auch für neue Technologien und Anwendungsgebiete, wie IoT / Robotics, Blockchain, Data Science oder Künstliche Intelligenz. Es betrifft nicht nur - respektvoll genannte - IT-Nerds, die als Domain Expert*innen aktiv sind, sondern uns alle. Dies hat auch der KI-Hype gezeigt, der 2024 weiterhin „en vogue“ ist und mit ChatGPT & Co eine moderne Technologie greifbar und gesellschaftsfähig gemacht hat.
Tobias Wojtanowski: Sie selbst sind mit fit4internet in Österreich ansässig, der von Ihnen genutzte DigComp – der europäische, digitale Kompetenzrahmen – ist ein europäisches Konzept und wir unterhalten uns im Kontext einer deutschen Lernplattform. Wie wichtig ist beim Thema Digitalisierung die internationale Zusammenarbeit? Geht es überhaupt noch ohne?
Valerie Michaelis: Digitalisierung und digitale Kompetenzen kennen keine nationalen Grenzen, es handelt sich vielmehr um eine Querschnittsmaterie, die eine sehr breite Bevölkerungsschicht und einen globalen Arbeitsmarkt betrifft. Für ein verbindendes Element auf internationaler Ebene, bedarf es einer gemeinsamen Sprache. Mit dem Europäischen Framework für digitale Kompetenzen (DigComp) wurde ein generisches Modell entwickelt, welches einerseits ausreichend Spielraum lässt, um das facettenreiche Spektrum an digitalen Kompetenzen abzudecken, und andererseits Orientierung und Klarheit im Digitalisierungs-Kompetenzen-Dschungel gibt. Dieses Modell dient als Brücke, um internationale Zusammenarbeit, Interdisziplinarität, vielseitige Perspektiven und Anforderungen aka cross industry approach zu ermöglichen und somit von einem breiten Ideen-Spektrum zu Gunsten der Entwicklung zu profitieren. In einer globalisierten Welt, in der wir alle von der Digitalisierung und ihrer Diversität profitieren sollen, ist internationale Zusammenarbeit ein wesentlicher Taktgeber.
Tobias Wojtanowski: Frau Michaelis, vielen Dank für das Interview!